Den Volksparteien gehen die Mitglieder aus

Verfasst von: Gisbert Kühner
Zu Zeiten eines Willy Brandt, im Jahr 1973, hatten mehr als 1 Million Bürger der Bundesrepublik Deutschland ein Parteibuch der SPD. Heute ist die SPD nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihre Anhänger mit Parteibuch sind Ende 2012 um über 50% auf 477.037 geschrumpft. Sie ist zwar immer noch mitgliederstärkste Partei, aber die CDU, die sie kurzfristig überholt hatte, ist ihr mit 476.347 Mitgliedern dicht auf der Ferse. Dürfen sich die beiden großen Parteien bei dieser Entwicklung überhaupt noch Volksparteien nennen?Und was ist der Grund für das Schrumpfen?
(Bild: Niedermayer, Oskar 2013, bpb (cc)BY-NC-ND)

Es wird die großen Parteien nicht wirklich trösten, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien bis auf die Grünen 2012 Mitgliederverluste hinnehmen mussten. Den stärksten Mitgliederverlust hatte 2012 die Linke, doch auch die FDP verließen scharenweise die Mitglieder. Diese Entwicklung ist bedauerlich und beunruhigend zugleich. Und es kommt bei den Parteien auch nicht so recht eine Schadenfreude über die Mitgliederverluste der Konkurrenz auf. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Parteien, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes so formuliert haben::„(1) Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe.“

(Bild: Niedermayer, Oskar 2013, bpb (cc)BY-NC-ND)

Was stimmt nicht mehr im Verhältnis des Volkes zu seinen Parteien? Die entscheidenden Faktoren für diese Entwicklung sind 1. Der Wertewandel in unserer Gesellschaft und 2. Defizite in der innerparteilichen Teilhabe. In unserer Gesellschaft hat eine Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten stattgefunden. Die einzige Leitinstanz für unser Denken und Fühlen sind eigene Lebensinteressen. Es hat eine Individualisierung unserer Gesellschaft stattgefunden. Die Bürgerinnen und Bürger, die sehr wohl noch politisch interessiert sind, orientieren sich bevorzugt situativ und projektorientiert. Sie machen in Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und ähnlichen außerparlamentarischen Aktionsgruppen mit. Beteiligungsformen mit längerer zeitlicher Bindung lehnen sie eher ab. Sie fragen sich nach dem Nutzen, den sie für sich aus dem Engagement ziehen.

Seyd/Whiteley haben in ihrem „Allgemeinen Anreizmodell“ die Beweggründe für die Mitgliedschaft in Parteien untersucht. Was früher noch starken Einfluss hatte, nämlich die Erwartungen der Familie und Freunde, oder eine ideologische Ableitung der Verpflichtung aus Visionen und Weltanschauung oder gar der Spaß an politischer Arbeit und das Gefühl, etwas bewegen zu können, hat heute kaum noch Bedeutung. Seyd/Whiteley kommen zu dem Ergebnis, dass heute private Ambitionen, wie eine politische Karriere machen oder die Suche nach exklusiven politischen Informationen, wesentliche Beweggründe für die Mitgliedschaft in Parteien ist. Von Anfang an haben soziale Milieus das Parteiensystem geprägt. Die SPD hat ihre Mitglieder aus den Vorfeldorganisationen Arbeiterklasse und Gewerkschaften rekrutiert.

Die CDU hat viele Anhänger in kirchlichen Organisationen gefunden. Diese Vorfeldorganisationen sind heute erodiert. Die Parteiorganisationen selbst haben gleichwohl einen bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung. Sie haben sich viel zu lange als closed shops betätigt. Ihre Ortsvereine oder Ortsverbände haben heute noch autistische Züge. Mitgliedern und insbesondere Neumitgliedern begegnet man mit Skepsis, statt sie teilhaben zu lassen. Kompetenzen von Neumitgliedern werden nicht genutzt, es fehlt jedes Mentoring der jungen durch „alte Hasen“. So ist es leicht nachvollziehbar, dass bis zu 10% aller Neumitglieder in den ersten 2 Jahren, 20% in den ersten 4 Jahren, wieder aus der Partei austreten.

Die Verantwortlichen in den Parteizentralen müssen sich damit abfinden, dass ihre Mitgliederzahlen weiter schrumpfen werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil in überalterten Parteien mehr Mitglieder sterben als neue eintreten. Auf Dauer werden die Parteien nicht mehr kampagnefähig sein. Besonders in ländlichen Gegenden ist das schon heute der Fall. Deshalb stellt sich zu Recht die Frage, ob die Ära der Volksparteien beendet ist. Natürlich streiten das die Profi-Politiker ab. Eine Volkspartei sei nicht nur von ihrer Mitgliederstärke abhängig zu machen, entscheidend sei, ob man die ganze Breite der Gesellschaft abdeckt.

Nach den Veränderungen in der Mitgliedschaft der Volksparteien muss man anerkennen, dass sie effektiv und erfolgreich nur als Fraktionsparteien arbeiten können. Nach dem Modell von Rudinski zeichnen sich Fraktionsparteien dadurch aus, dass das parteipolitische Handeln ausschließlich in den Händen von Profipolitikern liegt. Die Fraktionspartei nach Rudinski´s Vorstellung verzichtet weitgehend auf Mitglieder und finanziert sich über Spenden. Die Kampagnen werden von Experten für Öffentlichkeitsarbeit im Parteiapparat organisiert. Noch sind wir nicht so weit, aber der Weg wird in diese Richtung gehen. Ganz ohne Mitglieder wird es wohl nicht gehen. Aber Parteien müssen einen Weg finden, der sie weitestgehend autark von der Mitgliederstatistik macht. Mitgliedergewinnungskampagnen sind und bleiben Rohrkrepierer.

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Artikelsignatur: Gisbert Kühner | Autoren-Ressort: www.Gisbert-Kuehner.reporters.de
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