Rätselhafte Abkühlung der mittleren Körpertemperatur

Verfasst von: Sylvia Haendschke
Der Standardwert von 37 °C für die mittlere Körpertemperatur des Menschen scheint nach neuesten Erkenntnissen nicht mehr zu gelten. In den letzten 160 Jahren ist er um ca. 0,6 °C gesunken. Damit hat sich ebenso der menschliche Stoffwechsel verlangsamt, wie eine Studie in den USA bestätigen konnte. Die menschliche Körpertemperatur ist jedoch ein wichtiger Parameter für die Gesundheit. Der Frage, warum sie nun in den letzten Jahren gesunken ist, gingen die Forscher näher auf den Grund.

Sobald sich unsere Körpertemperatur verändert, lässt das auf eine Unterkühlung, Infektion oder andere Art von Erkrankung schließen. Auf unseren Stoffwechsel und somit auch auf unsere Temperatur haben auch Alter, Größe, Körpergewicht und Tageszeit einen Einfluss. Der offizielle Richtwert für einen normalen Wert ist aktuell eine Temperatur von 37 °C, den der deutsche Arzt Carl Reinhold Wunderlich 1851 in Leipzig auf der Grundlage von Millionen Temperaturmessungen bei 25.000 Patienten aufgestellt hatte. Modernste Studien kommen jedoch immer wieder auf einen mittleren Wert, der deutlich unter dem Wert von 37 °C liegt. Dabei war jedoch bisher immer noch unklar, ob die Abweichung auf eine physiologische Veränderung zurückzuführen ist oder auf einen Messeffekt.

Langzeitmessreihen sorgen für Aufklärung

Um aufzuklären, was hinter diesem Phänomen der gesunkenen Körpertemperatur steckt, haben Myroslava Protsiv und ihr Forscherteam von Stanford University in den USA die Körpertemperaturen von rund 677000 Frauen und Männern aus verschiedenen Geburtsjahren ausgewertet. Dabei führten die Langzeitmessreihen bis ins Jahr 1962 zurück. Damit umfasste die Studie Messwerte über die Zeit von 157 Jahren. Aufgrund der hohen Anzahl an Teilnehmern und Daten konnten die Forscher den Einfluss der Messmethoden besser abschätzen. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass sich die Körpertemperatur heute um 0,6 °C geringer ist als 1851. Heute liegt der Normalwert bei 36,4 °C und nicht bei 37 °C. Die Forscher glauben, dass die Unterschiede auf physiologische Veränderungen basieren.

Gesunkene Stoffwechselrate und weniger chronische Entzündungen

Laut der Auswertungen der Studie hat sich offenbar die Physiologie des Menschen in den letzten ca. 200 Jahren geändert. Der Ruhestoffwechsel muss seit Mitte des 19. Jahrhunderts leicht gesunken sein, da er einen entscheidenden Einfluss auf die Körpertemperatur des Menschen hat. Schließlich ist Wärme ein Nebenprodukt metabolischer Prozesse, wie die Forscher erklären. Was jedoch überrascht ist, dass die Stoffwechselrate eigentlich aufgrund der besseren Ernährung und des höheren Körpergewichts der Menschen in den Industriestaaten gestiegen sein müsste. Das ist jedoch nicht der Fall. So interpretieren die Forscher, dass das Abkühlungsphänomen ganz unabhängig von Veränderungen des menschlichen Körpers ist.

Liegt es vielleicht an der Umgebungstemperatur?

Protsiv und ihre Kollegen erklären, dass der Stoffwechsel in Ruhe steigt, sobald die Temperatur der Umgebung unter oder über dem thermoneutralen Bereich liegt. Das ist der Bereich, in dem wir Menschen unsere Normaltemperatur unter minimalem Aufwand von Energie stabil halten können. So könnten die Lebensumstände im 19. Jahrhundert verantwortlich sein, dass der Stoffwechsel damals höher war. Die Häuser und Wohnungen waren im Winter oft schlecht beheizt. Im Sommer wurden sie nicht gekühlt. Deshalb benötigten damals die Menschen mehr Energie, um ihre Körpertemperatur in einem optimalen Bereich zu halten. (Literaturquelle: Decreasing human body temperature in the United States since the industrial revolution; eLife 2020; 9:e49555 doi: 10.7554/eLife.49555)

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Artikelsignatur: Sylvia Haendschke | Autoren-Ressort: quantenatem.reporters.de
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